Le Spectacle in Paris,

 

Sobal es angenehm warm wird, draußen, in den bekannten Städten, kommen sogleich die Touristen in Scharen. Ein jeder von ihnen befindet sich zusammen mit tausend anderen in einer problematischen Situation: Er möchte sehen, was all die anderen schon vor die Linse bekamen und noch bekommen werden. Der Tourist wiederholt Schritte und Blicknormen. Er sieht eigentlich nicht, er fotografiert nur. Ein kleines, rezipierendes Subjekt, das auf Reproduktion aus ist.  Doch andererseits möchte der Tourist gern ganz eigene Entdeckungen machen. Trotz all dem Haschen nach den bekanntesten Blicken auch scheinbar Einzigartiges erleben. Erlebnisse, die sich bei erneutem Erzählen nicht so schnell abnutzen und die Reise des einen von der Reise des anderen vielleicht unterscheidbar machen.

 

Der Spektakel.

Der Tourist ist der ultimative Zuschauer, ein ausgezeichneter Voyeur, den das Spektakel freut. Lauter, greller, schneller. Er muss auffallen, damit es den Touristen erreicht und seine Aufmerksamkeit erlangt.

 

Sobald es angenehm warm wird, draußen, besonders in Paris, scharen sich die Touristen um Straßenkünstler, die ihnen die Illusion des einzigartigen Erlebnisses liefern. Wer von ihnen nicht auffällt, der überlebt auf der Straße nicht. Das Publikum möchte außerordentliche, spektakuläre Darstellungen, keine kleinen Außenseiter, keine Kontemplation, sondern Reizakkumulation und Stimulation.

 

Spectacle á deux minutes!

 

Levent Kunt führt in seiner Reihe le Spectacle das dem begierigen Zuschauerauge Schmeichelnde, Auffällige des Spektakels ad absurdum und lenkt den Blick zurück auf die sonst leicht zu übersehenden Teilnehmer und Außenseiter des Spektakulären: Die stillen Objekte. Er erreicht dies über die Ver- und Entfremdung von Dingen jenseits ihres bekannten Umfelds und kann zunächst in surrealistischem Kontext situiert werden, doch - und das ist bemerkenswert - der Eindruck seiner Arbeiten ist nicht verschnörkelt hin zu einer sich selbst genügenden Objektakkumulation, sondern trotz des Spektakulären auch minimalistisch in einer höchst konzentrierten Blicklenkung.

 

Ein großer Reifen diente einem Strßenkünstler zu akrobatischen Bewegungen. Das Aufsehen erregende der Darstellung wurde von Levent Kunt potenziert und übersteigert, indem der Ring selbst noch außergewöhnlicher gemacht wurde: Er leuchtet auf intensivste Weise neongrell. Doch ausgerechnet in dieser Erhöhnung des Schauwertes wird das Objekt paradoxerweise unbrauchbar. Das bewegte Spektakel wird durch das spektakuläre Objekt beruhigt. Es gewinnt für sich selbst wieder an stiller und reduzierter Aufmerksamkeit in Form einer Lichtinstallation.

 

Als konsequente Umkehrung der Objektentfremdung erscheint die Performance le Spectacle.

Auf seinen ganz eigenen, mehr flanierend ziellos als touristisch gezielten Streifzügen durch Paris entdeckte Levent Kunt sogenannte objets trouvés, aufgefundene Dinge, die sich deshalb finden lassen, weil sie nicht angeboten oder angepriesen werden. Um sie zu entdecken, müssen Wege gewählt werden, die jenseits von vorgefertigten Straßen-, Denk- und Blickmustern existieren, denn der Blick auf die Außenseiter der Städte wird zumeinst abgelenkt oder verstellt. Sie sind ausrangiert und verstoßen, liegen auf der Straße herum oder lassen sich nur mit Mühe auf den vielen Haufen von Krimskrams der Flohmärkte finden. Das Sammeln von merkwürdigen, nach kapitalistischer Lesart wertlosen Objekten wird nach surrealistischer Denktradition als ein subversiver Akt gegen die Normen der Bourgeoisie verstanden. Diese Dinge entsprechen nicht mehr dem allgemeinen Konsens von dem, was als wertvoll, schön oder auch schlicht als passend empfunden wird. Sie sind veraltet, außer Mode, der Abfall und die Randständigen der Konsumgesellschaft und immer auch ein Archiv des Vergangenen.

Doch Levent Kunt belässt es nicht bei solch einem surrealistisch anmutenden Sammelsurium von unterschiedlichen Objekten, er re-kombiniert diese zu etwas ganz Neuem, das einem Aufstand der gefundenen und verstoßenen Dinge gleicht, die sich in seiner Arbeit zu einem ganz eigenen Spektakel verbinden. Sie werden zu home made drums, den Straßenbastarden der Musikszene, den Ausdrucksmitteln der Migranten und der Abweichenden auf dem Asphalt der Städte. All den alten Eimern, Kübeln, kleinen Glöckchen und Rollen wird eine Stimme gegeben, indem sie durch den erkundenden Tastsinn eines Percussion-Spielers rhythmisch in Bewegung und zum Sprechen gebracht werden. Ort der Performance dieser neu verbündeten und angestupsten Objekte war ein kleiner, französischer Kammermusiksaal, eine Bühne, die normalerweise klassische Töne von sauber gefalteten Heften erklingen lässt. Hier durften nun die home made drums ihr eigenes Spektakel aufführen. Festgehalten wurde die Performance in nur einer einzigen, ungeschnittenen Aufnahme, die nicht das Video als Spektakel in den Vordergrund hebt, sondern das Spiel der Dinge auf konzentrierte Weise für sich wirken lässt.

 

Text: Julia Quedzuweit / Filmwissenschaftlerin, Mainz, 2010