Stadtporträts (Tortenschachtel)

 

In einer Stadt zu leben bedeutet, ihre Wege und wichtigsten Anlaufpunkte zu verinnerlichen. Jeder Mensch macht seine Erfahrungen mit den Formen und Linien der Stadt, indem er sie begeht oder umgeht. Er beginnt, Gebäude und Straßen zu spüren und die Stadt prägt sich in die individuellen Bewegungsmuster eines Menschen ein. In einer Stadt zu leben heißt auch, gegebenfalls an ihr anzuecken, sie mit Spuren zu überziehen und das mitzugestalten, was Stadt ist und sein wird. Dabei prallt Unterschiedliches aufeinander. Stadtgestaltung ist ein dynamischer und konfliktreicher Prozess, der jedoch selten als solcher erkennbar wird, sondern sich meist nur anhand von offiziellen Entscheidungen wie Baustellen oder Neubauten zeigt.

 

Levent Kunt setzt Skulturen in Form von leeren Plakatwänden in den öffentlichen Raum, auf denen sowohl dieser Prozess als auch das untergründig Verborgene einer Stadt sichtbar werden. Denn es sind nicht die großen Ergebnisse, sondern die kleinen, aufeinander reagierenden Kritzeleien, Parolen und Sticker, die den Wunsch nach Ausdruck und Gestaltung zeigen und sich auf der Fläche seiner Skulpturen konzentrieren. Mit den Formen seiner Arbeit reagiert Kunt dabei auf konkrete Plätze, wiederholt deren Strukturen und Architekturen oder setzt sie fort. Besprüht, beklebt und in stetem Wandel vereinen sie sich letztlich zu einer mehrschichtigen Collage, zu einem Porträt der Städte, in denen sie stehen.

 

2011 entstand das erste dieser skulpturalen Porträts im Rahmen von "Playing the City 3" mit der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main. In der Stadt der Banken und des Kapitals war die auffälligste Nutzung der Skulptur die einer kostenlosen Marketingplattform. Eines Nachts wurde die mittlerweile bunt verzierte Plakatwand weiß übermalt und mit dem Schriftzug einer Webadresse besprüht. Doch stieß die werbliche Instrumentalisierung auf Empörung. Ein Graffiti-Sprüher meldete sich beim Künstler und kündigte an, die Wand wieder farbig zu bemalen. DIe Fläche als Möglichkeit eines freien und öffentlichen Ausdrucks wurde somit zurückerobert.

 

In Ludwigshafen stand 2014 nun eine zweite Skulptur Kunts, die wieder Anderes zum Vorschein brachte: In der Arbeiterstadt war es nicht ein werbliches, sondern das politische Interesse einer rechtsradikalen Minderheit, das sich zeigte. Die regionale linke Gruppe "Die Falken" hatte an der Skulptur einen politischen Workshop anbgehalten und dort Slogans hinterlassen, auf die bald rechtsradikale Gegenstimmen folgten. Diese rechte Gruppe war seit Jahren nicht mehr in der Stadt in Erscheinung getreten. Mehrfach reagierten die Zeichen und Sprüche der unterschiedlichen Gesinnungen aufeinander, wurden übersprüht und neu geschrieben. Schließlich war der Workshop der Falken beendet und sie verließen damit auch die Fläche der Skulptur.

 

Statt allerdings ihrerseits auf die Parolen der rechtsradikalen Gruppe zu reagieren, beschwerten sich Bewohner Ludwigshafens beim Ordnungsamt, das wiederum den Verfassungsschutz einschaltete. Auf die Stadt Ludwigshafen und schließlich auf das Museum wurde Druck ausgeübt, die unerwünschten Slogans zu übermalen. Interessant bei diesem Vorgang ist, dass nicht etwa Bürger aktiv in die Gestaltung der Skulptur und somit ihrer eigenen Stadt eingriffen, sondern eine offizielle und letztlich institionelle Reaktion forderten. Die Möglichkeit der eigenständigen Rückeroberung der Fläche, wie sie in Frankfurt in einem ganz anders gelagerten Fall beobachtet werden konnte, wurde nicht genutzt.

 

Insofern werfen die Skulpturen Kunts auch die Frage auf, wem das Recht auf Stadtgestaltung zugesprochen wird und wer andererseits von diesem Recht Gebrauch macht. Denn in einer Demokratie hieße es - und die Anlage der Skulpturen ist zutiefst demokratisch -, bürgerlich Verantwortung zu übernehmen und selbst ein Zeichen zu setzen. Denn dies sollte Stadtgestaltung bedeuten: Sich in den Prozess einzulinken und mitzugestalten, an dem, was die eigene Stadt sein kann.