Playing the City

 

1)
Der öffentliche Raum ist ein von Interessen umkämpfter Raum. Michel der Certeau beschreibt den (öffentlichen) Raum überdies als Resultat der darin vorkommenden Aktivitäten. Warum ist es wichtig, dass sich Kunst in diesen Kampf, in diese Aktivitäten einmischt, und welche Siege kann sie dabei erzielen?

Vielleicht geht die Kunst auch in den öffentlichen Raum, um sich selbst von den Rahmen der Institutionen wie Museen, privaten Kunsträumen, Sammlungen und Galerien zu befreien.
Kunst im öffentlichen Raum ist offener, sie findet Zugang zu aller Art von Menschen, die sonst vielleicht keine kulturellen Institutionen besuchen und auch nicht über typische Vorkenntnisse verfügen. Dass die Kunst Siege davon tragen kann, halte ich für einen zu großen Anspruch, viel eher bietet sie Alternativen zu schon vorkommenden Aktivitäten im öffentlichen Raum an, sie ermöglicht oder demonstriert Verhaltensweisen, die sich (spontan) unmittelbar auf den Ort oder die Menschen beziehen, ohne dass sie nur „Insidern“ innerhalb von Kunsträumen zugänglich wären.


2)
Saskia Sassen unterscheidet öffentlichen Raum von öffentlich zugänglichem Raum. Welche Erwartungen verbindest du selbst mit dem öffentlichen Raum? Antike Agora oder moderne Mall?

Ich gehe eher von der modernen Mall aus, von dem zwar öffentlich zugänglichen Raum, der sich jedoch mehr am Konsum orientiert, als von Meinungsaustausch geprägt ist. Allerdings gibt es immer wieder Situationen, in denen Menschen sich den öffentlich zugänglichen Raum auch aneignen, hier ihre Spuren hinterlassen und auf diese Weise städtische Plätze, Wände etc, wenigstens ein Stück weit zurück verwandeln, sozusagen in eine Antike Agora. Künstlerisch interessieren mich genau diese Momente, Gesten und Akte, die Versuche darstellen, eine gewisse Öffentlichkeit im Raum zu erreichen, Zeichen zu setzen und damit Meinungen kund zu tun. Allerdings scheinen diese umwandelnde Akte stets den Charakter des Verbotenen und Subversiven zu haben, denn wie Graffitis sind solche Zeichen meist verschlüsselt und nicht für jeden lesbar.

3)
Man spricht in der Kunst seit ein paar Jahren vom social turn. Gemeint damit ist die Einbeziehung von sozialen Prozessen und ihre Veränderung durch künstlerische Aktivitäten. Inwiefern würdest du deine Arbeit mit dem social turn assoziieren?

Meine Arbeiten beziehen sich eher auf soziale Prozesse, greifen aber nicht konkret in sie ein. Die bei Playing the City III ausgestellte Plakatwand ist am ehesten mit dem social turn assoziierbar, da die Passanten möglicherweise zu Aktiven werden, die diese Wand dazu benutzen, etwas auf sie zu schreiben, zu kleben usw. Ob das auch funktioniert, ist unklar. Die Plakatwand hat erst einmal einen experimentellen Charakter und wer möchte, kann sich beteiligen, muss es aber nicht. Es ist wie in der Demokratie: Jeder darf sich äußern.

 4)
Die Kunst verfügt, nach Jacques Rancière, über einen emanzipatorischen Rahmen, innerhalb dessen der/die BetrachterIn die eigene kreative Vorstellung üben könne. Geteilte Kreativität zwischen KünstlerIn und BetrachterIn, wie in partizipatorischen Arbeiten, eröffne Möglichkeiten zu neuen Handlungsweisen. Macht sich der/die KünstlerIn durch eine solche Praxis nicht überflüssig à la longue?


Nein das glaube ich nicht, der/die KünstlerIn wird sich allein deshalb nicht überflüssig machen, da er/sie den Startschuss zur partizipatorischen Arbeit gibt. Er/Sie entwickelt die Idee und das gesamte Konzept, an dem die Betrachter dann Anteil haben. Bei der Plakatwand bspw. habe ich die Idee formal umgesetzt, in Zusammenarbeit mit dem Kurator dann ins Leben gerufen, doch ob und was auf und mit der Wand dann tatsächlich passiert, liegt bei den Betrachtern, die diese partizipatorische Arbeit dann sozusagen vollenden – egal, wie. Für diese Vollendung bin ich nun tatsächlich als Künstler überflüssig, für die gesamte Arbeit jedoch nicht.


 5)
Welche Bedeutung hat jene Kunst für dich, zu deren Herstellung und Verwendung andere Menschen – Künstler oder Nicht-Künstler, das Publikum – involviert sind?


Ich finde es erst einmal spannend, wenn das Publikum interaktiv beteiligt ist, nicht nur bei einer fertigen Arbeit, die den Betrachter zu eigenen Gedanken und Bewegungen im Raum anspornt, sondern auch schon bei der Herstellung. Denn solch eine Herangehensweise bringt stets eine gewisse Offenheit mit sich, da unterschiedliche Entscheidungen und Impulse integriert werden. Manchmal ist es auch schlicht von Vorteil, Experten aus anderen kreativen Bereichen in ein Projekt bewusst mit einzubeziehen. Doch das hängt immer von den jeweiligen Arbeiten ab und ob die Einbeziehung anderer Menschen auch für das Gesamtkonzept tatsächlich Sinn macht.

6)
Welche Erfahrungen hast du bei deinen bisherigen Projekten gemacht, die die aktive Beteiligung des Publikums, insbesondere die Herstellung und Realisierung der Projekte betreffend, erfordert haben?


Die aktive Beteiligung des Publikums wird tatsächlich derzeit in Playing the City III mit der Plakatwand stark herausgefordert.
Bei meinen bisherigen Projekten wurde die Beteiligung bei der Herstellung der Arbeiten nicht vergleichbar erfordert, jedoch wurde meine Arbeit in Gars am Kamp (Österreich) stark auf die Teilnahme des Publikums hin angelegt. Schlichte Pfeile dienten als Wegführer, die ich in dem gesamten Ort in einer Nacht aufgehängt hatte. Sie führten zum eigentlichen Ausstellungsort, dem Bruhl Areal, wovon ein Teil früher eine Beton-Fabrik gewesen ist und dessen Größe mit vielen Biennale-Geländen vergleichbar war. Insofern dienten die plötzlich über Nacht aufgetauchten Pfeile für von außerhalb kommende Besucher tatsächlich als Orientierung inmitten des Dorfes und auf dem riesigen Gelände, für die Bewohner des ländlichen Ortes stellten die roten Objekte jedoch viel eher Störenfriede dar. Sie irritierten die Menschen und wurden gar als Provokation aufgefasst. Interessant daran war, dass das Publikum also dann, wenn es ortsfremd war, den Objekten tatsächlich Sinn verlieh, indem sie diese als Wegweiser interpretierten und auch aktiv benutzten, für die Bewohner waren diese jedoch oft nur fremde Dinger. Für sie stellten die Pfeile einen Eingriff in ihren Wohnort dar, der nicht etwa als öffentlicher Raum und insofern als bespielbar empfunden wurde, sondern immer auch als ein persönlicher, ein sozial-privater Raum oder gar als Privatbesitz. Durch diese unterschiedlichen Reaktionen des Publikums hatte sich somit die Arbeit an sich je nach lokaler Zugehörigkeit des Publikums verändert.


7)
Innerhalb der partizipatiorischen Kunst kann man zwischen Ausführenden und Mit-Schaffenden unterscheiden. Die Kunst als Idee und das Resultat als soziale Arbeit?

Natürlich kann es sein, dass der/die KünstlerIn in partizipatorischer Kunst nicht im Vordergrund steht, aber der eigentliche Urheber des Projektes bleibt er dennoch. Er beginnt etwas, dass dann andere zu Ende führen, das stellt meiner Ansicht nach einen produktiven Austausch zwischen KünstlerIn und Mit-Schaffenden dar, beide erhalten Impulse und solch eine Zusammenarbeit führt zu neuen Ergebnissen und letztlich zu Veränderungen. Das kann man nicht wirklich voneinander trennen, beide Seiten sind hier gleich wichtig, wie schon in Frage vier gesagt, der Betrachter beendet sozusagen die künstlerische Arbeit.

8)
Jean-Luc Nancy kritisiert die Gemeinschaft in ihrem Gemein-Sein, einer quasi religiös gestifteten Identität. Vielfalt, so Boris Groys, sei der primäre Wert, den die partizipatorische Praxis herstelle. Worin besteht nun eigentlich dieser Trend zu Kooperationen, Kollaborationen, Künstlerkollektiven – abseits einer erfolgreichen Kommunikation innerhalb des Kunstsystems?

Mir selbst kam öfters der Gedanke und Wunsch, in einer Musik-Band zu spielen. Mir erscheint es als attraktiv, eine klare Rolle in einem solchen Kollektiv zu haben, in der jeder sein Element, bzw. Instrument beherrscht und dadurch zu einem künstlerischen Ganzen beiträgt.
Ich glaube, dass man Musik-Bands ganz gut mit künstlerischen Kollektiven vergleichen kann, da im Zusammenschluss mit anderen man Organisation, Verantwortung, Talente und Fähigkeiten gut aufteilen und zuordnen kann und letztlich ein vielfältigeres Klangbild als alleine erreicht. Ebenfalls lassen sich Meinungen und Arbeitsweisen als Gruppe viel besser nach außen hin vertreten und der Zusammenschluss erleichtert es, schneller zu arbeiten. Vielleicht richtet sich dieser Trend auch einfach gegen die Individualisierungstendenzen in unserer Gesellschaft.


9)
Vieles der partizipatorischen Kunst referiert auf Happening oder Theater. Eine dieser Diskursformen, die aus der ehemaligen Sowjetunion der 1920er Stammt, namentlich das unsichtbare Theater, hob radikal die Trennung von SchauspielerIn und ZuschauerIn auf. Welche Beziehung hast du und hat deine Kunst mit dem Theater?


Bei meiner Kunst verhält es sich oft anders herum, als im „Unsichtbaren Theater“: Bei mir wird seltener der öffentliche Ort zur Bühne, als dass der vom Zuschauer betretene Ausstellungsort zur Bühne und das Publikum zum Akteur wird, bzw. die Straße selbst auf die Bühne kommt.
Bei meinen Schlagzeug-Arbeiten (Paris/Istanbul) habe ich eigentlich unscheinbare und unbeachtete, also insofern unsichtbare Objekte von der Straße aufgelesen und zu einem Instrument zusammen gebaut. Diese sonst unbeachteten Dinge kamen auf die Bühne und veranstalteten hier ihr ganz eigenes Konzert, ihnen wurde durch den klassischen Rahmen von Scheinwerferlicht und Publikum eine ganz neue Aufmerksamkeit geschenkt.
Bei meinem letzten Projekt "The Red Shoes" befinden sich die Ausstellungsbesucher eigentlich zwischen unterschiedlichen, höchst theatralen Fragmenten eines Ballettstückes selbst eigentlich auf einer Art Bühne. Statt dass sich hier eine Erzählung vor ihren Augen abspielt, müssen sich die Betrachter zwischen den Dingen bewegen und ihnen damit einen Sinn verleihen. Sie sollen aktiv werden, sich in die Geschichte mit Hilfe der gegebenen Fragmente hineindenken und hinein fühlen, das Publikum wird letztlich selbst zum Akteur.

10)
Wie wichtig ist es dir, mit deiner Kunst auf das Verhalten der anderen einzuwirken? Von welchen Erwartungen (d)eines Publikums gehst du normalerweise aus?
 
 
Prinzipiell habe ich erst einmal keine konkrete Vorstellung von den Erwartungen meines Publikums. Wenn jedoch Missverständnisse oder auch Irritationen und das Gefühl der Provokation bei diesem auftauchen, empfinde ich es als spannend – so zum Beispiel in Gars am Kamp, wie schon weiter oben erwähnt – und anderseits zeigt dies mir wiederum an, dass ich selbst vielleicht doch bestimmte Erwartungen hatte, die dann erst durch die Reaktionen des Publikums zu Tage traten. So musste ich in Gars am Kamp erkennen, dass für eine Dorfgemeinschaft der öffentliche Raum immer auch mit privaten Gefühlen und Besitzansprüchen behaftet ist und die installierten Pfeile tatsächlich als störende Fremdkörper wahrgenommen wurden.
Da ich meist in Bezug auf bestimmte Orte und Räume arbeite und in diesen dann auch ausstelle, kann ich natürlich davon ausgehen, dass das Publikum selbst mit eben diesen Orten vertraut ist. Insofern erwarte ich eine gewisse Kenntnis, einen vertrauten und auch gewohnten Umgang des Publikums mit dem, worauf sich meine Kunst bezieht. Denn mit dieser Gewohnheit kann ich dann brechen, bspw. mit den „Dönerbuden“,  indem ich Städte (Hannover und Mainz) einzig durch das Anzeigen von Standorten der Dönerbuden darstellte. Wer die Städte tatsächlich kannte, war zuerst überrascht, keine Straßen oder andere Karten-üblichen Bezeichnungen zu finden, erkannte jedoch nach und nach durch den eigenen, vertrauten Umgang mit der Stadt über die Dönerbuden schließlich die bekannte Umgebung wieder. Ja, vielleicht gehe ich von einer Vertrautheit des Publikums mit dem urbanen Feld aus, der Erwartung, dieses Vertraute dann auch in meinen Arbeiten wieder zu finden, so dass ich wiederum mit dieser Vertrautheit spielen und hierdurch neue points of views auf das allzu Vertraute liefern kann. Insofern kann man weniger sagen, dass ich mit meiner Kunst auf das Verhalten anderer einwirken möchte, vielmehr möchte ich erst einmal neue Sichtweisen liefern, die dann natürlich evtl. auch zu neuen Handlungsweisen führen können.